Ich wurde Gunagriha

Ich hatte ein neues, spirituelles Leben und erhielt dazu einen neuen Namen. Der spirituelle Name ist eigentlich ein persönliches Mantra. Ein Mantra ist sozusagen ein Keimwort, das ein bestimmtes Potential in sich trägt. So wie ein Samen potentiell den ganzen Baum mit all seinen Früchten in sich trägt, so verbergen sich in einem Mantra gewissermaßen bestimmte göttliche Eigenschaften oder Fähigkeiten in Samenform, die sich durch die Wiederholung und Kontemplation des Mantras entwickeln und entfalten lassen. Dieser Samen wird also nicht in den Boden, sondern in das menschliche Bewusstsein eingepflanzt. Dort keimt er aus, wächst heran, breitet sich aus und trägt Früchte. Er bringt die Früchte, die von Anfang an in ihm existiert haben. Es ist bekannt, dass Gedanken zur Wirklichkeit werden. Ich las über Mohammed Ali, dass er, als er in seiner Kindheit zu boxen begann, tagelang, sogar jahrelang im Stillen folgenden Satz wiederholte: „Ich werde Boxweltmeister. Ich werde Boxweltmeister.” Man kann sagen, das war sein eigenes persönliches Mantra. Ich träumte früher davon, dass ich dem Kommunismus entfliehen werde, das war mein „Mantra”. All das sind allerdings Mantren, die dazu dienen, äußere Wünsche zu erfüllen, und die ihre Wirkung als Samen ausüben, die in die Gedankenwelt eingepflanzt wurden. Das sind eigentlich keine richtigen Mantren, aber ich vereinfache die Dinge sehr gerne. So kann man sich alles leichter vorstellen. Bei Mantrenübungen wird die Kraft der Gedanken ausgenützt. Der Gedanke stellt eine Kraft dar, deshalb müssen wir mit unseren negativen Gedanken vorsichtig umgehen.

Ein Mantra übt seine Wirkung in der inneren Welt auf uns aus, und das persönliche Mantra kultiviert und fördert die Entwicklung der Eigenschaft(en), das Charakteristische, die im Vordergrund stehende Fähigkeit unserer Seele. Das persönliche Mantra kommt meist aus dem Sanskrit, der „dichtesten“ Sprache, die es gibt. Oft lässt sich die Bedeutung eines einzigen Wortes nur mit mehreren Sätzen umschreiben. Wenn man dieses Wort immer wieder wiederholt, pflanzt sich die Bedeutung des Mantras in uns ein. So wird es für uns leichter, das Charakteristische unserer Seele in unserem ganzen Wesen, natürlich auch in unserem äußeren Wesen, zum Vorschein zu bringen. Das hat aber mit unseren äußeren Wünschen nichts zu tun. Meistens erfährt man seinen seelischen Namen vom Meister, aber manchmal kommt es vor, dass die Seele das Mantra während der Meditation dem Verstand mitteilt.

Sri Chinmoy gibt seinen Schülern ihr persönliches Mantra erst nach Jahren der Meditation, und dieses Mantra wird dann auch als spiritueller Name verwendet. Sobald man es erhält, wird man auch so angesprochen. Es gibt einige Schüler, die den spirituellen Namen, ihr Mantra, regelmäßig wiederholen, aber für die Mehrheit von uns ist das nicht typisch. Dafür, wer, wann, warum oder warum nicht einen spirituellen Namen erhält, gibt es keine äußere, für den Verstand nachvollziehbare Regel. Wer keinen spirituellen Namen hat, sehnt sich in der Regel nach einem, und wer ihn schon besitzt, der fühlt sich irgendwie sicher im Sattel. Nach meiner Erfahrung ist der spirituelle Name aber in keiner Weise eine Garantie für eine schnellere spirituelle Entwicklung oder überhaupt für das „Überleben“ in der Spiritualität. Aber es gibt eine gewisse Sicherheit. Wir wissen und fühlen, dass die im Namen steckenden Eigenschaften und Fähigkeiten unsere Seelenqualitäten sind, und dies beeinflusst meines Erachtens auch unmittelbar unser Handeln und unser Verhalten.

Als ich in Gurus Schülerkreis hineinplatzte, beobachtete ich bereits während meines ersten Besuches in New York ein oder zwei und später natürlich noch viele weitere Verleihungen von spirituellen Namen. Im allgemeinen geschieht das ganz spontan. Guru sitzt zum Beispiel auf dem Tennisplatz, wo die Treffen mit seinen Schülern üblicherweise tagsüber stattfinden, nimmt einen Kugelschreiber zur Hand und schreibt etwas auf ein Stück Papier. Oft legt er dann das Papier in ein Kuvert, das muss aber keinesfalls immer so ablaufen, und lässt einen seiner Schüler rufen. Dieser geht zu Guru, kniet nieder, damit Guru seinen Kopf erreicht. Guru legt das Papier auf den Kopf des Schülers, und während er das Papier auf den Kopf hält, meditiert er lange oder vielleicht sollte man besser sagen, ist er irgendwo in einem höheren Bewusstseinszustand. Dann kehrt er zurück, lächelt den Betreffenden mit seinem wonnevollen Lächeln lange an und die Namensverleihung ist vorüber. Der Schüler geht glücklich weg. Manchmal erhält er noch Anweisungen, zum Beispiel, wann er das Kuvert öffnen darf, wann er den neuen Namen den anderen mitteilen darf, oder ob und wie oft er ihn wiederholen soll. Sobald er zu den anderen Schülern zurückkehrt, empfängt er rundum Gratulationen. Natürlich erkundigte ich mich sofort, ab wann der Meister einem Schüler seinen spirituellen Namen verleiht, weil es für mich eine große Auszeichnung gewesen wäre, wenn ich sofort mein Seelenmantra erhalten hätte. Ich habe auch abgeklärt, ob man den Namen mit Geld kaufen kann, aber die Frage trug mir nur Gelächter ein. Es hieß, dass es nicht so von der Zeit abhängig sei. Aufgrund meiner Zudringlichkeit fand ich doch heraus, dass eine Zeitdauer von mindestens vier, fünf Jahren realistisch, wenn auch sehr kurz ist. Nun, sagte ich zu mir, ich zeige ihnen, was ein Sekler (ungarische Volksgruppe in Siebenbürgen) ist, ich werde es im ersten Jahr herausholen.

So folgte ich Guru wie ein Pinscher, ich verlangte von ihm den spirituellen Namen. Ich bat nicht darum, sondern ich „verlangte“ ihn. Jede Methode probierte ich innerlich aus, ich übte Druck aus, ich zog, einmal versuchte ich es höflich, dann wieder derber. Da sich alles lautlos abspielte, muss ich es als spirituelle oder seeische Unverschämtheit bezeichnen. Guru drehte sich oft zu mir, als ob er von einer Wespe gestochen worden wäre, aber er nahm alles hin, wie eine Löwin, die von ihrem Kleinen gebissen wird. Während des Programms bei den diversen Veranstaltungen passierte es oft, dass ich in der Pause in seiner unmittelbaren Nähe saß, und dann schaute ich unaufhörlich auf ihn. Häufig wandte er sich mir zu und schenkte mir seinen Blick und ließ mich minutenlang in seine Augen schauen. Sein Blick war sanft, glatt und weich. Als ich alleszerstörend in ihn eindrang, fand ich in ihm eine Kraft, die wie eine weiche Wand war, hier konnte man sich nicht verletzen, aber weitergehen war auch nicht möglich. Ich blickte lange in seinen Augen, die mir sagten: „Ich bin hier, ich bin offen für dich, ich gehöre dir. Warum willst du Teile von mir herauskratzen, wenn du das Ganze bekommen kannst?“ Ich habe es nicht verstanden, denn ich war unreif und einfach nicht empfänglich genug. Das ging so zwei Jahre lang. Überall stellte ich mich in die erste Reihe, damit Guru mich sehen konnte und mir diesen spirituellen Namen endlich geben würde. Es sollten auch die anderen sehen, dass ich nicht von Pappe bin. Damals wusste ich noch nicht, dass man sich einem spirituellen Meister nicht äußerlich nähern kann, von Erobern ganz zu schweigen. Du kannst einen spirituellen Meister nur mit deiner innerlichen, aufrichtigen und bedingungslosen Hingabe zu deinem Diener machen, aber auf diese Weise todsicher. Das ist sogar auch dann möglich, wenn du mit ihm nicht in physischem Kontakt stehst, wenn du zum Beispiel auf einem anderen Kontinent lebst. Es muss nur dein Bewusstsein mit jenem des Meisters zusammentreffen.

Inzwischen habe ich entdeckt, dass echte Freude im spirituellen Leben durch Ausdehnung des Bewusstseins und nicht durch den Erhalt des spirituellen Namens erfahren werden kann. Ich bin heute nicht mehr derjenige, der ich gestern war. Heute habe ich von der Welt, von den Menschen, von allem ein Stückchen mehr in mir als gestern; das bedeutet, ich bin mehr geworden. Es ist eine richtige Freude und auch ein Abenteuer zu entdecken und zu erleben, wie sich die Grenzen meines Ichs stufenweise ausdehnen. Die wahre Freude ist das Erleben des inneren Reichtums. Damals konnte ich das noch nicht formulieren, ich spürte es nur. So war schließlich meine Sehnsucht nach einem spirituellen Namen völlig erloschen. Ich spürte, was der Meister von sich aus gibt, ist ausreichend und immer richtig. So war ich wieder sehr zufrieden. Später erfuhr ich, dass jeder spirituelle Name eine bestimmte Qualität der Seele ausdrückt. Ich hatte das Gefühl, ich würde benachteiligt und eingeengt werden, wenn ich auf eine bestimmte Eigenschaft „festgelegt“ werden würde. Ich wollte eigentlich weder so noch so werden. Deshalb war ich der Meinung, mit meinem Namen „Alexander“, so nannte man mich im Meditationszentrum, würde ich viele Jahre lang zufrieden sein, und er wäre auch gut für mich. Ich würde auf keine bestimmten Eigenschaften beschränkt werden, und dies würde mir genügend Spielraum einräumen. Auch später teilte ich diese Überlegungen niemandem mit, denn ich wusste, dass die anderen mich missverstehen würden. Ich war mir sicher, dass auch Guru keine Qualität finden könnte, mit der ich glücklich wäre. Allerdings sollte ich mich da gründlich täuschen, natürlich fand er den einzig richtigen Namen. So sah meine Einstellung zum spirituellen Namen aus, als Guru meinen Söhnen Bescheid gab, dass er plane, ihnen spirituelle Namen zu geben. Das war im April 1992, damals waren auch meine Söhne bereits Schüler. Sie wurden sehr aufgeregt. Wie wird der Name sein, wie wird man sie nennen, wie wird es in der Schule funktionieren und viele weitere Fragen tauchten auf. Wir kamen von New York zurück, aber die Namensverleihung hatte nicht stattgefunden. Im Sommer, nach mehreren neuerlichen Zusicherungen, erhielten sie ihre Namen noch immer nicht. Es war mir klar, dass diese Periode für die Kinder zur Vorbereitung notwendig war. Dann im Oktober, wir waren mit Guru auf einem Schiffsausflug in Deutschland, rief er die Kinder zu sich, segnete sie auf die übliche Weise und verlieh ihnen die spirituellen Namen. Es war wunderbar und ich freute mich sehr darüber. Ich entdeckte, dass meine Gefühle hinsichtlich des spirituellen Namens ehrlich waren. Tatsächlich hatte ich keine Sehnsucht mehr danach, was viel mehr wert war als ein spiritueller Name, denn ich war befreit. Wenn uns eine Sehnsucht verlässt, die uns lange gepeinigt hat, übertrifft das Erlebnis der Freiheit das Gefühl, das die allfällige Erfüllung des Wunsches gebracht hätte. Darum sage ich immer, dass der Sehnsucht größte Freude ihr Verschwinden ist. Die Jungen waren sehr glücklich mit ihren Namen, weil sie damit auch Geld verdienten. Wenn meine Frau oder ich die Kinder beim alten Namen nannten, was am Anfang natürlich aufgrund der Gewohnheit oft vorkam, mussten wir ihnen zehn Schilling Strafgeld bezahlen. Der ältere heißt nun Muktámbar, der jüngere Khokan.

Im April 1992 waren wir wieder in New York. Eines Tages rief Guru die Jungen zu sich und beschenkte sie. Das kam oft vor, daran war nichts Besonderes. Dann rief er die Eltern. Guru hielt in seinen Händen ein schönes, großes Kuvert, welches er mir überreichte. Ich kniete nieder und übernahm es. Lange hielten wir beide das Kuvert in der Hand. Guru meditierte und lächelte. Dann schenkte er auch meiner Frau ein Kuvert und winkte, was bedeutete, dass wir wieder gehen sollten. Das ist doch nicht möglich, dass Guru mir Geld gibt, dachte ich mir. Schließlich bin ich reicher als er, in der äußeren Welt natürlich. Ich überlegte gerade, ob er uns vielleicht eine seiner Zeichnungen geschenkt haben könnte, als einer der Jungen auf meine Schulter klopfte und gratulierte. Ich wollte wissen, wozu er gratulierte. Der Junge wunderte sich, wie es möglich war, dass ich nicht realisierte, den spirituellen Namen erhalten zu haben. Ich wusste es einfach nicht. Wie betäubt vor Überraschung konnte ich mich irgendwie nicht freuen. Ich hatte damit einfach nicht gerechnet. Meine Frau war klüger als ich, sie wusste es. Wir einigten uns darauf, das Kuvert erst in unserer Unterkunft zu öffnen. Ich war einerseits wegen der Neugierde auf die Bedeutung meines Namens, andererseits wegen des Umstandes, dass es ausgesprochen lange spirituelle Namen gibt, die man schwer erlernen kann, sehr aufgeregt. Auch jetzt noch, nach so vielen Jahren, kenne ich die spirituellen Namen der meisten Schüler nicht besonders gut.

Zuerst öffnete meine Frau ihr Kuvert. Ihr Name lautete Marami. Sie freute sich sehr darüber und sie empfand sofort, dass dies ihr wahrer Name ist. Ich sagte ihr, dass es sich um die Verschmelzung von Martha und Mami handelt, weshalb er einfach und leicht zu merken ist. Aber das stimmt nicht. Marami bezeichnet eine Person, deren Herz von Mitgefühl und Anteilnahme für die Menschheit erfüllt ist und die sich um die Menschheit kümmert. Das stimmte. Einerseits war ich glücklich, weil sie so ist. Andererseits schimpfte ich auch oft mit ihr aus diesem Grunde. Auch meine Großmutter wurde oft gerügt, weil sie zu gut war. Das habe ich auch getan, wenn meine Frau zu gut war. Aber ich tat es nicht, wenn sie mit mir zu gut war. Ihr spiritueller Name hat ihr geholfen, weil sie wusste, dass diese Eigenschaft richtig war und aus ihrer Seele kommt.

Ich öffnete mein Kuvert langsam und vorsichtig und schaute auf das Papier mit der gleichen Spannung wie früher, wenn ich beim Pokern die gezogenen Karten ansah. Inzwischen betete ich um einen einfachen Namen. Als ich ihn erblickte, Gunagriha, konnte ich mit mir nichts anfangen, ich saß nur da und starrte vor mich hin. Mit der Bedeutung meines Namens war ich auf jeden Fall sehr zufrieden, er hat mir die Zweifel genommen. Ich hätte mir einen geräumigeren, freieren spirituellen Namen nicht vorstellen können. So haben wir einander bei unseren neuen Namen gerufen.

Die Bedeutung von Gunagriha auf Deutsch: der Gott-Liebende, der das Tempel-Heim vieler, vieler, vieler göttlicher Eigenschaften und göttlicher Fähigkeiten ist, um den Lord Supreme (Höchsten Herrn) auf seine eigene Weise zu lieben, zu gefallen und zu manifestieren.

 

 

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